Das in der Französischen Revolution verloren gegangene Reliquiar mit der Kette des Heiligen Petrus wurde 1895 in Formen der Neogotik neu geschaffen.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert kam es zu einer neuen Blüte kirchlicher Schatzkunst: Die Goldschmiede des Historismus bedienten sich eines breiten Angebots vor allem romanischer und gotischer Formen, die durch gedruckte Vorlagensammlungen erschlossen wurden. Ihre Werke galten als Verweis auf eine ruhmvolle Vergangenheit, an die man nach der Reichsgründung von 1871 anknüpfen wollte, aber auch als Ausdruck einer religiösen Erneuerung in der bewegten Gründerzeit.
In der Französischen Revolution war ein beträchtlicher Teil des Trierer Domschatzes eingeschmolzen worden. Die Reliquien der Heiligen selbst blieben erhalten. Um diese angemessen aufzubewahren, ließ das Domkapitel bei dem Trierer Goldschmied Josef Brems (1859 bis 1912) mehrere neogotische Reliquiare anfertigen.
Zu den erhaltenen Reliquien zählten auch die beiden Glieder der Kette, mit denen der Heilige Petrus in Jerusalem gefangen gehalten wurde, von denen ihn aber ein Engel erlöste. Anlässlich seines 50jährigen Firmenjubiläums stiftete Josef Brems-Varain dem Domschatz 1895 ein neues Reliquiar für die Ketten Petri. Er nahm sich dabei das aus dem 14. Jahrhundert stammende Sankt-Anna-Trägerreliquiar im Domschatz zum Vorbild. Das Reliquiar befindet sich auf einer Basisplatte, die auf vier Löwenfigürchen ruht.
Auf der Basisplatte stehen vier, paarweise einander zugewandte Engel, die mit zwei Stangen einen Reliquienschrein auf ihren Schultern tragen. Das Reliquiar ist ist - bis auf die vier Löwen und die vier Engel - vergoldet, was einen wirkungsvollen Farbkontrast zwischen den architektonischen Teilen und den Trägerfiguren bewirkt. Sie erinnern an die Engel, die im Gefängnis die Ketten des Apostelfürsten gelöst haben und sie wecken Erinnerungen an eine Schreinprozession, mit der im Mittelalter die Reliquienschreine bei Kriegen und Seuchen durch die Straßen der Stadt getragen wurden, um sich der Hilfe der Heiligen zu versichern.
Bei der Architektur des Schreins löst sich der Goldschmied endgültig von seinem Vorbild: Zwar wird die Idee des gotischen Schreins beibehalten, jedoch sind die Wände und Dachschrägen mit Fenstern versehen, die ein Betrachten der Reliquie ermöglichen. Auch die Architektur des von zwei Wimpergen mit Kreuzblumen und Fialen überragten Schreins wird neu gestaltet, sie erinnert jetzt viel stärker an eine gotische Kirche des Mittelalters, der großen Zeit der Trierer Kirche.
Das Reliquiar der Ketten Petri ist so ein anschauliches Beispiel, wie im Historismus mit Vorlagen, mit Anspielungen und Zitaten gearbeitet wird, um sich in der Gegenwart auf eine bedeutende Reliquie und auf die historische Größe der Trierer Kirche zu beziehen.
Autor: Prof. Dr. Wolfgang Schmid